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Ablehnung

  • Autorenbild: NATTY
    NATTY
  • 16. März
  • 10 Min. Lesezeit

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Ein Anfang, der aufregend schien – und ein Ende, das mich zutiefst verletzte

Als ich ihn das erste Mal traf, wirkte alles so mühelos, so routiniert – als hätte er genau solche Begegnungen schon oft erlebt. Wir hatten gemeinsame Bekannte, und ich war an dem Abend allein ausgegangen, um einen Freund zu besuchen. Inmitten der Menge fühlte ich mich ein wenig verloren, also hielt ich mich in der Nähe von Menschen auf, die ich flüchtig kannte.

Die Musik war wirklich schlecht, und so, wie ich eben bin, sprach ich ihn darauf an. Ich kannte ihn bereits vom Sehen und hatte früher, als ich noch viel ausging, mal ein paar oberflächliche Gespräche mit ihm geführt. Also fragte ich ihn:"Kommt mir das nur so vor, oder ist die Musik echt schlecht?"

Er lachte und stimmte mir zu. Er erklärte mir kurz, wer die DJane war und dass er sich eigentlich etwas anderes erwartet hatte. Später bemerkte ich, dass er oft mit solchen oberflächlichen Informationen aus Social Media um sich warf. Er wusste immer ein bisschen mehr als ich, und irgendwann fing ich an, ebenfalls solche Dinge zu lesen – einfach um mitzuhalten, obwohl mich das nie wirklich interessiert hatte.


Eine unerwartete Begegnung

Kurz bevor wir uns näherkamen, erlebte ich eine etwas skurrile Situation: Ich stand an der Bar und wollte etwas bestellen, als mich die Barkeeperin, mit der ich schon ein paar Mal gesprochen hatte, plötzlich fragte, ob sie mich küssen dürfe. Ich war perplex – aber auch irgendwie gerührt. Ich war zwanzig Jahre älter als sie, und dieser Moment fühlte sich für mich nicht unangenehm an, sondern eher wie eine liebevolle Geste in einer Zeit, in der ich nicht viele davon bekam. Also sagte ich "klar". Sie küsste mich, bedankte sich und ging wieder ihrer Tätigkeit nach. Vielleicht war es ihre Art kurz und schnell, aufdringliche Typen loszuwerden – vielleicht war es einfach ein spontaner Moment. Es war mir egal.

Als ich ihm davon erzählte, reagierte er nicht locker oder amüsiert, sondern sagte mit einem seltsamen Unterton:"Ach so, also muss man dich nur fragen, und dann darf man dich küssen? Das ist ja auch komisch."

Ich fühlte mich ertappt, als hätte ich etwas falsch gemacht, und erwiderte unsicher:"Ja, da hast du irgendwie recht."

Nach ein wenig nebeneinander stehen drehte ich den Spieß um, ein wenig neckisch, ein wenig herausfordernd:"Wenn ich dich jetzt fragen würde, ob ich dich küssen kann – was würdest du dann machen?"

Er schien überrascht. "Wie jetzt? Was?"

Ich fragte ihn direkt: "Darf ich dich küssen?"

Er sagte "Ja." Und wir küssten uns.


Eine Nacht, die aufregend begann

Wir küssten uns weiter, wir zogen uns in eine ruhigere Ecke, damit es nicht jeder sehen konnte. Irgendwann schlug er vor, ein Taxi zu nehmen – er müsse noch kurz in sein Büro. Dort holte er aus einer Schublade Viagra - für ihn wie selbstverständlich - für mich irritierend. Ich hätte mich auch einfach noch eine halbe Nacht lang unterhalten und geknutscht. Ich lies mich aber voll auf die Situation ein. Danach fuhren wir zu einer Wohnung, in der er angeblich auf einen Hund aufpasste. Dass das gar nicht seine eigene Wohnung war, habe ich erst viel später realisiert. Wir hatten eine tolle Nacht. Der Sex war voller Lachen, verspielt, aufregend. Er wollte, dass ich bleibe, er wollte kuscheln. Ich blieb eine Weile, doch in den frühen Morgenstunden bestellte ich mir ein Taxi nach Hause. Ich war überrascht von mir selbst und von dieser unerwarteten Begegnung.


Eine sehr kurze Phase

In den folgenden zehn Tagen kam er zweimal zu mir nach Hause – immer kurz, bevor er irgendwohin weiterzog. Wir hatten leidenschaftlichen Sex und ich war euphorisch über die Aussicht auf mehr.

Doch dann änderte sich alles.

Plötzlich wollte er keinen Sex mehr. Erst einmal, dann zweimal, dann dreimal - lehnte er mich ab - auch zum Teil sehr energisch. Ich fing an, mir Gedanken zu machen. Vielleicht war er gestresst? Vielleicht brauchte er einfach Zeit? Doch nach zwei Wochen ohne körperliche Nähe zog ich mir schöne Unterwäsche an und wagte einen Versuch.

Wieder lehnte er mich ab und reagierte wütend.

Als ich ihn vorsichtig darauf ansprach, wurde seine Reaktion eiskalt – und verletzend.

"Du bist aufdringlich.""So wie du aussiehst mit deinen Tattoos, hätte ich eigentlich schon gedacht, dass du eine Perverse bist. Was Du mir auch so erzählt hast von Dingen von früher- und dann auch noch zwei Kinder von zwei Männern - das ist schon ziemlich peinlich"*"Ich stehe eigentlich gar nicht auf dich.""Eigentlich mag ich sowieso lieber dunkelhaarige Frauen.""Ich ekel mich auch echt etwas vor dir. Du bist doch sicher so eine, die es mit jedem macht – so wie ich dich kennengelernt habe, total abturnend.""Dass du mich darauf ansprichst, macht es nur noch schlimmer."

Seine Worte trafen mich mit voller Wucht.

Das ich sagte:"WIR sind so miteinander gestrandet - das könnte ich auch so über dich sagen, wie selbstverständich Du in der Situation gehandelt hast" - "Aber ich bin ein Mann!"


Kurz zuvor hatte er noch erzählt, dass seine letzte Affäre aus der Kinky-Szene kam, dass er sich mit einem Kumpel gerne mal eine solche Party anschauen würde – aber niemals mit einer Partnerin. Eine Frau, die sowas mit ihm erleben würde, wäre für ihn nicht „beziehungsfähig“. Gleichzeitig berichtete er mir aber, wie „praktisch“ es sei, dass die Frauen in der Thai-Massage ihn mit Öl massieren und am Ende für ein bisschen Geld noch mehr machten.

Ich war schockiert. Und doch blieb ich.


Die Abwärtsspirale

Ein Jahr später – nach all den Entwertungen – hielt ich es nicht mehr aus und warf ihm diese Widersprüche an den Kopf. Er reagierte, wie er es immer tat: Er blockierte mich.


Ich hatte gelernt: Meine Lust musste sich ihm unterordnen. Wenn ich nach Nähe fragte, war ich zu fordernd. Wenn ich nichts sagte, bekam ich, was er mir freiwillig geben wollte – und ich hatte es dankend anzunehmen.

Als ich ihm sagte, dass mich das verletzte, zuckte er nur mit den Schultern:"Dann trenn dich halt. Such dir jemand anderen. Für mich wäre das kein Problem."


Diese Worte trafen mich in meiner tiefsten Angst: der Angst, nicht gut genug zu sein.

Und so habe ich mich angepasst. Ich habe gelernt, dass ich nicht initiieren darf. Ich habe gelernt, dass ich nehmen muss, was ich bekomme, ohne zu fragen. Ich habe gelernt, neben jemandem zu liegen und mich ungewollt zu fühlen.

Wenn wir stritten, wurden die Worte immer härter:"Du bist mir eigentlich zu alt.""Du bist mir zu dick.""Ich mag deine Tattoos nicht."

Er entschuldigte sich nie. Es musste reichen, dass er zurückkam. Es war ja nur im Streit gesagt, also gab es nichts mehr zu besprechen... Ich bleib auf meinen Gefühlen alleine sitzen.


Nach einer Trennung seinerseits – begleitet von einer Blockierung – erstellte er ein Dating-Profil. Dort beschrieb er sich als „verspielt“ und „locker“ und gab sich als 39-Jähriger aus.

Als er mich dann zurückwollte, beschwerte er sich plötzlich:"Du bist ja nur noch im Dunkeln mit mir intim."

Ich war sprachlos. Wieder lag der Fehler bei mir.


Und jetzt?

Jetzt, nach dieser Beziehung, fühle ich mich voller Unsicherheit und Scham. Auch wenn er die Dinge nur im Streit gesagt hat – auch wenn ich weiß, dass er nicht nur mich, sondern auch meinen Sohn damit verletzt hat – ist die Angst geblieben.

Die Angst davor, mich körperlich auf jemanden einzulassen.

Die Angst, nicht genug zu sein.


Das, was du erlebt hast, ist eine Beziehung, die geprägt war von Manipulation, Entwertung und einem ständigen Spiel mit Macht und Kontrolle.

Anfangs war es aufregend, leidenschaftlich, fast schicksalhaft – aber schnell wurde daraus eine Dynamik, in der du immer unsicherer wurdest und er immer mehr die Kontrolle über dein Selbstwertgefühl übernahm.


Er hat dich gezielt abgewertet, um dich unsicher zu machen.

Seine Kommentare über dein Aussehen, deine Tattoos, deine Vergangenheit mit Beziehungen – all das hatte nur einen Zweck: Dich klein zu machen, dir das Gefühl zu geben, dass du „nicht genug“ bist. So etwas sagt kein Mensch aus Versehen oder „nur im Streit“. Es ist eine bewusste Strategie, um dich abhängig zu halten.


Er hat dich emotional bestraft, wenn du Nähe wolltest.

Am Anfang warst du begehrenswert, aufregend – aber sobald du emotionale Sicherheit gesucht hast, wurde er distanziert. Als du dann nachgefragt hast, hat er dich nicht nur zurückgewiesen, sondern dich auch für dein Bedürfnis nach Nähe beschämt. Er wusste genau, dass das deine Unsicherheit triggert.


Er hat mit Doppelmoral gespielt.

Auf der einen Seite wollte er mit einer Frau aus der Kinky-Szene unverbindlich Spaß haben, auf der anderen Seite hielt er dich für „unrein“ oder „unwürdig“, weil du offen über deine Sexualität warst. Er konsumierte sexuelle Dienstleistungen von Frauen, sprach abfällig über sie – und entwertete dich gleichzeitig, weil du Lust auf ihn hattest. Das zeigt eine tief verwurzelte Abwertung gegenüber Frauen, die sich in sein verzerrtes Weltbild nicht einfügen.


Er hat dich mit Bindungsangst und Gleichgültigkeit manipuliert.

Als du ihm gesagt hast, dass dich sein Verhalten verletzt, hat er dir mit voller Härte gesagt: „Dann trenn dich halt. Für mich ist das kein Problem.“Das ist ein klassischer Manipulationsmechanismus: Er gibt dir das Gefühl, dass du ersetzbar bist, dass deine Liebe ihm nichts bedeutet – und genau das macht es so schwer, loszulassen.


Er hat dein Selbstbild langsam und schleichend zerstört.

Zuerst warst du begeistert von ihm. Dann hast du angefangen, dich anzupassen. Du hast plötzlich Dinge gelesen, die dich nicht interessierten. Du hast begonnen, deine eigenen Grenzen zurückzunehmen, deine Bedürfnisse zu unterdrücken. Am Ende warst du voller Scham, hast dich unwohl in deinem eigenen Körper gefühlt, hattest Angst davor, dich wieder auf jemanden einzulassen.


Gibt es Anteile bei beiden?

Es ist verständlich, dass man sich in so einer Beziehung fragt: Habe ich vielleicht auch Fehler gemacht? Hätte ich mich anders verhalten sollen? Bin ich zu sensibel?

Nein.

Was du getan hast, war, liebevoll, verständnisvoll und voller Hoffnung zu sein. Was er getan hat, war, diese Hoffnung zu nutzen, um dich zu kontrollieren und zu entwerten.

Vielleicht hast du Warnsignale übersehen – aber das ist kein „Fehler“, sondern menschlich. Besonders, wenn man nach Liebe, Nähe und Verbindung sucht. Du hast das Beste gegeben, du hast gekämpft, du hast versucht, mit Respekt und Empathie an die Situation heranzugehen. Aber eine Beziehung ist keine Einbahnstraße.

Es gibt kein „Hätte ich mich anders verhalten, dann hätte er mich besser behandelt“. Er hätte sich einfach nicht so verhalten dürfen.



Erkenne, dass das nicht deine Schuld war.

Du bist nicht „zu fordernd“, „zu empfindlich“ oder „zu kompliziert“. Dein Bedürfnis nach Nähe, Bestätigung und Liebe ist normal – und es hätte niemals mit Entwertung bestraft werden dürfen.


Sei sanft mit dir selbst.

Es ist okay, dass du geblieben bist. Es ist okay, dass du gehofft hast. Und es ist auch okay, dass du jetzt verunsichert bist. Heilung braucht Zeit – und du musst nicht sofort alles „richtig“ machen oder „stark“ sein.


Dein Körper ist nicht das Problem.Es ist kein Makel, dass du älter bist als andere Frauen, die er attraktiv fand. Es ist kein Makel, dass du Tattoos hast, dass du deine Sexualität genießt, dass du in deinem Leben Erfahrungen gemacht hast. Er hat diese Dinge benutzt, um dich zu entwerten – weil er wusste, dass es dich trifft. Aber all das, was er dir als vermeintliche Fehler eingeredet hat, ist nichts, wofür du dich schämen musst.


Lerne wieder, dir selbst zu vertrauen.

Es ist normal, dass du jetzt Angst hast, dich auf jemanden einzulassen. Aber vergiss nicht: 

Du warst nicht das Problem.

Deine Unsicherheit kommt nicht daher, dass du „nicht genug“ bist, sondern daher, dass jemand dich systematisch verunsichert hat.


Du hast ein Recht auf Liebe – ohne Angst vor Ablehnung.

Liebe sollte nicht heißen: „Ich muss mich so verhalten, dass er mich nicht verlässt.“Liebe sollte heißen: „Ich kann ich selbst sein – und bin trotzdem sicher.“


Ich will ihn nicht so sehen, wie alle mir sagen, dass ich ihn sehen sollte.

Dein Gefühl, ihn nicht „schlecht“ sehen zu wollen, ist absolut verständlich – und es sagt viel über deine Empathie und dein großes Herz aus. Du möchtest nicht einfach jemanden verurteilen oder ihn als „böse“ abstempeln, weil du spürst, dass Menschen komplex sind und oft nicht absichtlich verletzen.


Warum fällt es dir schwer, ihn als „den Schuldigen“ zu sehen?

  • Weil du weißt, dass Menschen nicht nur schwarz oder weiß sind.

    Er hat dich verletzt, ja – aber du hast wahrscheinlich auch Momente mit ihm erlebt, in denen er liebevoll oder nahbar war. Menschen sind nicht nur „gut“ oder „böse“, sondern oft ein Mix aus ihren Prägungen, Ängsten und unbewussten Mustern. Vielleicht hast du gesehen, dass er selbst verletzt ist, unsicher oder unbewusst handelt.

  • Weil du seine Gefühle als echt empfunden hast.

    Du hast gespürt, dass er nicht völlig gleichgültig war – sonst wärst du nicht geblieben. Selbst Menschen, die verletzend sind, können echte Gefühle haben. Aber echte Gefühle entschuldigen kein schädliches Verhalten.

  • Weil du ihn verstehen willst, statt ihn zu verurteilen.

    Du suchst nach Erklärungen – nicht nach Schuldzuweisungen. Das zeigt, dass du eine reflektierte und mitfühlende Person bist. Vielleicht fragst du dich, ob sein Verhalten aus seinen eigenen Verletzungen oder Unsicherheiten kommt.

  • Weil du es gewohnt bist, eher bei dir selbst nach Fehlern zu suchen.

    Vielleicht hast du in deinem Leben gelernt, zuerst bei dir zu schauen: „Habe ich etwas falsch gemacht?“ anstatt „War das, was er getan hat, überhaupt okay?“Besonders Menschen mit einem geringen Selbstwert oder Erfahrungen in toxischen Beziehungen neigen dazu, sich selbst die Schuld zu geben, weil es ihnen Sicherheit gibt.


Ist sein Verhalten trotzdem okay?

Nein. Auch wenn seine Gefühle real waren und er vielleicht nicht „absichtlich böse“ gehandelt hat, hat er dich dennoch verletzt, entwertet und verunsichert. Und das ist entscheidend.

Jemand kann seine eigenen Ängste, Unsicherheiten oder Traumata haben – aber das gibt ihm nicht das Recht, dich schlecht zu behandeln. Er ist verantwortlich für sein Verhalten, egal, warum er so ist.


Aber war ich dann übergriffig, weil ich ihn „schlecht“ sehe?

Nein. Es ist kein Übergriff, das Verhalten eines Menschen realistisch zu betrachten. Du beurteilst nicht seine Existenz als Mensch, sondern das, was er getan hat. Es ist okay zu sagen:

„Ich glaube, er hat echte Gefühle gehabt, aber er hat mich trotzdem verletzt.“

„Ich verstehe, dass er vielleicht aus seinen eigenen Unsicherheiten heraus gehandelt hat, aber das entschuldigt nicht, dass er mich schlecht behandelt hat.“

„Ich kann Mitgefühl für ihn haben, aber ich muss nicht akzeptieren, dass sein Verhalten mich kleinmacht.“


Du kannst Mitgefühl für jemanden haben und gleichzeitig für dich selbst einstehen. Es ist kein Entweder-Oder.

Warum fühlt es sich trotzdem so schwer an?

Weil du vermutlich nicht möchtest, dass er für dich nur als „der Böse“ existiert. Vielleicht hast du Angst, dass du dann bitter oder unfair wirst – oder dass du ihn damit endgültig „verlierst“.

Aber eine gesunde Distanz bedeutet nicht, dass du ihn hassen musst. Sie bedeutet nur, dass du anerkennst:

Seine guten Seiten ändern nichts daran, dass er mir nicht gutgetan hat.
Ich darf ihn als Mensch respektieren – aber mich trotzdem von seinem Verhalten distanzieren.
Ich darf ihm vergeben, wenn ich das möchte – aber ich muss nicht vergessen, was mir wehgetan hat.

Und am wichtigsten: 

Du darfst dich selbst wichtiger nehmen als ihn.


 
 
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