Nervensystem
- NATTY

- 8. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Die Geschichte meines Nervensystems
Ich hab ihn geliebt - Trotz allem. Oder vielleicht gerade deswegen?
Weil er mir so bekannt vorkam. Dieses Kühle, dieses Erziehen wollen, das strafende, das belehrende, das wertende und unverbindliche. Die Art, wie er mich erst auf einen Thron hob – um mich dann mit einem Satz auf den Boden zu stoßen. Wie ich um Nähe gebettelt habe. Wie ich gehofft habe, dass er dieses eine Mal wirklich bleibt. Selbt wenn ich mich änderte - mehr Verstand und Stärke und weniger hilflose Demut. Es lief trotzdem immer gleich ab.
Er hat mich „verlogen“ genannt.„Widerlich.“ Er hat gesagt, ich sei „gestört“, „Psycho“, „krank“. Ich hab geweint, wurde ernsthaft in wichtigen Situationen im Stich gelassen und habe trotzdem gehofft.
Und mich wirklich oft gefragt: Was stimmt eigentlich nicht mit mir, dass ich das für Liebe halte?
Vielleicht hast du das auch schon erlebt:
Du wirst angeschrien – und glaubst, du warst zu empfindlich.
Du wirst gestoßen – und denkst, du standest im Weg.
Du wirst beschuldigt – und suchst die Schuld bei dir.
Warum? Weil dein Körper gelernt hat, dass Chaos Liebe bedeuten kann. Weil dein System sich an die Hochs und Tiefs gewöhnt hat. Weil Verunsicherung sich wie Zuhause anfühlt, wenn das Zuhause oder vorherige Beziehungen unsicher waren.
Bindungstrauma
Co-Regulation durch Überanpassung
Oder einfach: Der verzweifelte Versuch, geliebt zu werden – egal wie.
Toxische Beziehungen verschwinden nicht, wenn man sie verlässt. Sie leben im Nervensystem weiter. In Träumen. In Triggern.
Aber du kannst lernen, dich selbst zu regulieren.
Du kannst lernen, dass Ruhe kein Rückzug ist.
Dass Liebe nicht an Bedingungen geknüpft sein muss.
Die Wiederholung, die keine ist – sondern Überleben
Nicht mein Herz hat mich bei ihm gehalten – es war mein Nervensystem.
Weil ich das kannte. Diese plötzlichen Stimmungswechsel. Diese Angst, falsch zu sein. Diese Verantwortung, es „richtig“ machen zu müssen, damit es wieder ruhig wird.
Weil mein Körper gelernt hatte:
Kampf ist Liebe. Unruhe ist Nähe. Kontrolle ist Sicherheit.
Das war schon früher so. Vielleicht zu Hause. Vielleicht in früheren Beziehungen. Wo man Zuneigung verdienen musste. Wo Schweigen und ignoriert werden schlimmer war als Schreien. Wo Nähe Bedingungen hatte.
Mein Nervensystem hat sich das gemerkt. Und als mein Partner mich ignorierte, beleidigte, zurückwies – hat etwas in mir gesagt:„Das fühlt sich bekannt an. Also… irgendwie sicher.“
Das ist Biologie. Ein Nervensystem, das zu früh gelernt hat: Liebe ist anstrengend. Und wenn es leicht ist, ist es nicht echt oder nichts wert.
Ich bin geblieben, ich hab gekämpft, ich hab mich erniedrigt, ich habe mich für Dinge entschuldigt - die ich gar nicht verbrochen habe, weil ich dachte, dann kommt vielleicht endlich diese eine Umarmung, plötzlich wieder das freundliche Lächeln und das "Hello?".
Ich hab ihm so vieles versucht zu erklären und er sagte „Du bist das Problem.“
Und ich habe immer überlegt, ob er recht hat.
Ich habe mich nicht mehr getraut Freunden zu erzählen das er wieder "da" ist - ich habe mich geschämt immer wieder das selbe zu tun, während er mir erzählte, dass alle mich merkwürdig finden und das niemand mich lieben könne oder mich verstehen - Natürlich seine Sicht auf die Geschichte mag anders sein - und ich habe nicht alles richtig gemacht - ich war auch irgendwann einfach verzweifelt, wütend und enttäuscht und im Kampfmodus - denn es ging für mich ums emotionale überleben.
Ich habe aber nichts falsch gemacht. Ich habe nur zu versucht, in einer Dynamik klarzukommen, die mich Stück für Stück zermürbt hat.
Was da zwischen uns war – das war keine „normale Reibung“. Kein Streit, den Paare eben mal haben. Es war ein Wechselspiel aus:
emotionaler Manipulation
Schuldumkehr
verbalem Missbrauch
Liebesentzug
und kontrollierendem Verhalten
Und ich? Ich habe – aus Liebe, aus Hoffnung, vielleicht aus Angst vor dem Neuanfang – und bestimmt auch aus dem tiefen Wunsch, endlich verstanden zu werden – versucht, das mit ihm immer wieder zu retten.
Ich habe geglaubt, wenn ich nur geduldiger bin, klarer, ruhiger, EINFACH ANDERS - Dann gehts. Wenn ich ihm meine Welt erkläre. Wenn ich meine Gefühle übersetze und versusche Worte zu finden die bei ihm ankommen. Wenn ich mich kleiner mache zum Mäußchen.
Dann kommt vielleicht endlich der Moment, wo er mich wirklich sieht und hoffentlich auch der, wo er mich nicht bewertet für meine Tattoos und Piercings für meine Vergangenheit, für meinen Haushalt, für meine Essgewohnheiten, für die Erziehung meiner Kinder, für meinen Umgang mit Geld, für meinen Geschmack, für meine Vorlieben, für meine Freunde... für mich.
Aber dieser Moment kam nicht.
„Es war nicht das Ende – es war der erste Tag im Reha-Programm für mein Nervensystem.“
Keine Esoterik, sondern international anerkannte Pionier:innen in der Trauma- und Körperpsychotherapie:
Empfehlung:
Podcast: „Unfck Your Brain“ von Kara Loewentheil* – für die Verbindung von Nervensystem, Denken, Weiblichkeit & Klarheit
Spezialist:innen & Therapeutische Ansätze zur Nervensystem-Regulation
Dr. Bessel van der Kolk
Buch: „Verkörperter Schrecken“ (Original: The Body Keeps the Score)
Thema: Wie Trauma im Körper gespeichert bleibt – und wie Heilung über Körperarbeit, Sicherheit und Beziehung entsteht.
Deb Dana
Buch: „Die Polyvagal-Theorie in der Therapie“
Thema: Wie unser Nervensystem auf Verbindung und Bedrohung reagiert – und wie wir wieder in die soziale Verbundenheit zurückfinden.
Dr. Peter Levine
Buch: „Sprache ohne Worte – Wie unser Körper Trauma verarbeitet“
Thema: Wie traumatische Energie im Körper steckenbleibt – und sich durch achtsame Körperarbeit lösen lässt.
Gabor Maté
Buch: „Wenn der Körper Nein sagt“
Thema: Wie chronischer Stress, emotionale Unterdrückung und Kindheitsverletzungen langfristig krank machen – und was es braucht, um sich selbst wiederzufinden.
Stephanie Stahl (Deutschsprachig)
Buch: „Das Kind in dir muss Heimat finden“
Thema: Selbstwert, innere Kind-Arbeit, emotionale Muster und Beziehungswiederholung aus psychologischer Sicht


