ZU NAH
- NATTY
- vor 2 Tagen
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Wenn Nähe zur Bedrohung wird
Manche Menschen begegnen der Welt mit einem großen Lächeln. Offen, charmant, unterhaltsam. Sie lachen mit der ganzen Welt – wirken leicht, fröhlich, unbeschwert. Doch sobald die Tür ins Schloss fällt oder das Auto sich schließt, verschwindet dieses Lächeln und selbst merken Sie es nicht.
In Beziehungen wünschen sie sich stets das Strahlen vom ersten Date, die Unbeschwertheit, das Mitmachen, die gute Laune. Sie sehnen sich nach dem Bild – nicht nach dem Menschen dahinter. Nach dem glücklichen Mädchen/dem lustigen Kerl, dem unkomplizierten Gegenüber. Nicht nach der ganzen Wahrheit - Das ist nämlich anstrengend... Denn Wahrheit bringt Tiefe. Und Tiefe fordert Offenheit, Verletzlichkeit, Verantwortung. Das ist ihnen oft zu viel
Nähe, die nicht berühren darf
Menschen, die wirkliche Nähe meiden, tun das nicht aus Boshaftigkeit. Sie tun es aus Angst. Die Angst, wirklich gesehen zu werden, ist größer als die Sehnsucht nach Verbindung.
Sie träumen vielleicht von einer Zukunft, machen Ausflüge in Traumschlösser – aber nur, solange nichts reales aufkommt - keine Konsequenz. Sobald du traurig wirst, unsicher oder auch mal launisch oder fordernd – ziehen sie sich zurück. Nähe ja, aber bitte nur, wenn sie kontrollierbar bleibt. Nur solange sie angenehm ist. Nur solange du leicht zu ertragen bist.
Doch Beziehung bedeutet nicht, dass einer ständig funktionieren muss, damit der andere sich wohlfühlt. Beziehung ist kein Wohlfühlprogramm. Sie ist ein Raum, in dem Authentizität zählt – auch dann, wenn das Lächeln fehlt. Auch dann, wenn Tränen fließen. Auch dann, wenn du gerade keine Kraft hast, jemand anderes zu sein als du bist - und das Leben hält einfach manchmal Belastungen bereit - und nicht alles ist zum weg-lächeln leicht.
Verbindung auf Abstand
Diese Menschen wünschen sich eine Beziehung – aber keine Bindung. Sie möchten gemeinsame Erlebnisse, Unternehmungen, vielleicht auch Körperlichkeit. Doch sie lassen dich nicht wirklich in ihr Leben hinein. Nicht dorthin, wo Du sie in Gänze erleben könntest. Häufig fühlen sie sich einfach unwohl, wenn der Partner sie in jeder Lebenslage erlebt. Sie schützen sich so selbst vor eigenen Gefühlen oder vor für sie vielleicht unangenehmen Situationen - und Du? - Du fühlst Dich ausgeschlossen und allein - aber dafür gibt es wenig Verständnis. Aber es liegt nicht an Dir - sie können es nicht verstehen, weil Sie es selbst nicht fühlen wie Du.
Sie übernehmen keine oder nur wenig/gelegentlich Verantwortung für dich in dieser Verbindung. Sie begleiten dich nicht durch das Dunkle. Oft sind sie genervt von deinen "Problemen", sie wollen keine echte Gegenüberstellung mit einem Menschen und seiner ganzen inneren Welt – sondern eine Projektionsfläche. Ein schönes Bild. Eine Funktion. Eine liebe, nette Freundin // einen lieben, netten Freund // einen unkomplizierten Menschen. Sie verstehen nicht, dass sie ALLES haben können, wenn sie selbst sich auf die Nähe einlassen. Meist scheitern solche Beziehungen nach zwei bis vier Jahren, weil beide Partner sich gegenseitig emotional überfordern - ohne zu verstehen weswegen.
Und du? Du versuchst, dich mitzuteilen. Du erklärst, was du brauchst. Du kämpfst gegen die Wand des Unverständnisses. Doch deine Worte verpuffen – weil sie in einem Menschen ankommen, der sie nicht hören kann. Weil echtes Verstehen Nähe braucht. Und weil durchgängige und aufrichtige, mutige Nähe für diesen Menschen kein Geschenk ist – sondern eine Bedrohung.
(Ja, manchmal gibt es Ausnahmen - aber es fällt den Menschen nicht leicht diesen nahen Zustand durchgehend und langfristig zu halten und brechen zwischendurch die Nähe ab)
Geliebt nur unter Bedingungen
Du bleibst zurück mit dem Gefühl, nur unter Bedingungen existieren zu dürfen.Geliebt zu werden – aber nur, solange du fröhlich oder lieb bist. Solange du nicht forderst, was dir zusteht: Tiefe, Verbindlichkeit, ein echtes Miteinander.
Das Du das willst, macht diese Menschen nicht böse. Es macht sie verletzt und sie fühlen sich von Dir in die Ecke gedrängt. Das sind Menschen, deren Selbstschutz größer ist als ihre Bereitschaft, wirklich zu berühren – oder sich berühren zu lassen - keine böses Menschen!
Aber nur weil es kein böser Schachzug ist, musst Du nicht das Ersatzlächeln auflegen.Und du bist auch nicht dafür da, ihre Angst zu beruhigen, indem du dich selbst klein hältst. Wahre Nähe entsteht nicht durch deinen ständigen Einsatz, sondern durch beidseitige Freiwilligkeit. Und diese Freiwilligkeit muss von beiden Seiten kommen.
Oberfläche statt Tiefe
Viele Menschen sehnen sich nach Liebe – aber suchen sie nur dort, wo sie leicht ist. Wo sie lacht, spielt, schweigt, wenn es unangenehm wird. Wo sie spontan verreist, Fotos macht, Momente konsumiert. Sie nennen das „unkompliziert“, „frisch“, „unbeschwert“.
Aber sie fürchten das Eigentliche.
Sie vermeiden Nähe, nicht weil sie gefühllos sind – sondern weil Nähe sie mit sich selbst konfrontieren würde: Mit alten Wunden. Mit dem Gefühl, nicht genug zu sein. Mit Eifersucht, Kontrollverlust, Ohnmacht. Mit der schmerzhaften Vorstellung, wirklich gesehen – und dann vielleicht abgelehnt – zu werden.
Und so fliehen sie in Oberflächlichkeit. Nicht aus Gleichgültigkeit. Sondern aus Angst.
Beziehungen sind nicht dafür da, nur das Schöne zu teilen. Sie sind ein Dach für schwere Zeiten. Ein sicherer Raum für Unsicherheiten. Sie bedeuten: Jemand sitzt neben dir, wenn du keine Worte mehr hast. Nicht mit einer Lösung, sondern mit einem offenen Herzen.
Quellen & Inspiration:
Sachse, Rainer: Psychologische Psychotherapie – Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag
Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens, dtv
Rosa, Hartmut: Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp Verlag